RL201112 Spielbericht7
Regionalliga Südwest 2011/12 / Spielbericht 7. Runde
Zurück vom Höhenflug: 1,5 - 6,5 gegen München Südost
Spielbericht:
Nach dem Heimspiel gegen die haushohen Favoriten von Südost München wurden die Haarer Schlachtenbummler in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen. Als Gegenleistung tragen sie zu einer psychologischen Studie bei, wieviele Arten des Trostes es wohl geben mag.
Schachliche Quintessenz: Es lohnt sich, lang zu kämpfen. Die drei am längsten dauernden Partien brachten die drei ehrenrettenden Remis. Darum läuft die Zeitlupe des heutigen Berichts ausnahmsweise rückwärts.
Stephan an Brett 4 zeigte einen raffinierten Mittelspieltrick und paarte ihn mit jugendlicher Zähigkeit zur sechsten Stunde. Löffeln andere schon Schmidt-Torte, biegt er noch feindliche Springergabeln. Sogar sein studentischer Gegner war schließlich mürbe und remisierte ins Dauerschach.
Elmars Partie an Brett 3 war ein Schmuckstück mit Ansage. Alle langgehegten französischen Pläne gingen auf, ein Bauernopfer öffnete die a-Linie für unabschüttelbaren Angriff, die Ernte hing zum Beißen nah, nur ein Mikrosekundenschlaf entließ den Weißen aus dem Netz. Insgesamt eine Partieführung, die so schnell keiner nachmachen wird. Obendrein teilt Elmar bei der Analyse seine Weisheit gern mit Amateuren: "Wenn du nicht weißt, was du spielen sollst, mach einfach das, was der Computer ziehen würde!"
Cherin an Brett 6 knöpfte seinem 167 Punkte höher eingestuften Gegner früh einen Bauern ab und brachte Zugluft in die schwarze Königsstellung. Zur Zeitkontrolle war er dann aber selber froh, ein Dauerschach auf der Hand zu haben.
Nun zu den fünf zuerst beendeten Partien, die die wissenschaftliche Suche nach Trostkategorien auslösen. Besonders tragisch war zweifellos Bernhards Zeitüberschreitung im 40. Zug, kurz nachdem er in Zeitnot einen Mattangriff ausgelassen hatte. Das Ergebnis beglückt den Weißen, der ein einfallsreiches aber vermutlich nicht ganz korrektes Qualitätsopfer brachte und auch sonst alle Brücken hinter sich abbrach. Was kann den Schwarzen nun trösten? Ich denke, gute Gesellschaft im doppelten Wortsinn. Insbesondere befindet er sich in bester Gesellschaft mit Weltmeistern.
Fuchs Josef an Brett 8 weiß, dass Zähigkeit sich auszahlt, siehe oben. In seinem Fall hielt sie jedoch nur so lange wie seine Bedenkzeit. Denn Warten in verlorener Stellung brachte nicht die erhoffte Wende, sondern Jugend siegte über Erfahrung. Trost: Josef hat immerhin erreicht, nicht als erster zu verlieren, und ich weiß, dass er Nebenkriegsschauplätze mehr liebt als Märchenschach. Womit wir beim klassischen Trostspruch angelangt wären: es könnte alles noch schlimmer sein.
Walter S. an Brett 7 war früh an die Verteidigung eines Bauern gebunden, bewies unglaubliche Geduld und wehrte sich mit Klauen und Zähnen. Ein befreiender Plan kam dennoch nicht in Sicht. Winston Churchill sagte angeblich, man könne sich immer darauf verlassen, dass die Amerikaner das Richtige tun, nachdem sie alles andere ausprobiert haben. So fand denn auch Weiß schließlich das richtige Rezept und überlastete die schwarzen Verteidiger auf der 7. und 8. Reihe. Hervorragenden Trost spendet also immer Humor, schwarzer wie weißer. "Humor ist der Knopf, der verhindert, dass uns der Kragen platzt" (Joachim Ringelnatz).
Rainer startete hochkonzentriert in die Spitzenbegegnung mit GM Dragan Kosic (DWZ 2526). Der Großmeister steht offensichtlich über den Grundregeln, zog in der Eröffnung zweimal jeden Läufer, bevor er sie dann doch abtauschte, wobei ich noch heute grüble, ob er sie tauschte, weil der Moment günstig war, oder ob der Moment günstig war, weil er sie tauschte. Schnöden Bauerngewinn verschmähte er, sondern galoppierte schnurstracks zum schwarzen König. Jeder Zug verstärkte pausenlos die weiße Stellung, so dass am Ende der Eindruck blieb, ein versteckter schwarzer Fehler müsse recht früh passiert sein. Trost für Rainer: Der kostenlose GM-Privatunterricht heilt alle Wunden, zahllose Spieler beneiden dich, von den Spielerinnen ganz zu schweigen.
Helmut an Brett 2 rang ebenfalls mit einem Großmeister, Vladimir Kostic (DWZ 2379), und legte seine Weißpartie gewohnt tiefsinnig an. Schwarz hielt sich jedoch nicht an die übliche Rollenverteilung, sondern spielte überaus aktiv mit. Insbesondere wusste er die fehlende weiße Rochade zu nutzen, um die eigene Entfaltung mit größtmöglicher Behinderung der weißen Entwicklung zu kombinieren. Auch hier lehrreich und tröstend: Der Spielstärkeunterschied ist kleiner, als im binären 0:1 zum Ausdruck kommt. Die nächste Gelegenheit folgt bestimmt, und die Witterung der großen weiten Welt ist aufgenommen.
Weitere Trostmechanismen erwähne ich lieber nur pauschal: Verdrängung ist gut, wenn man eh schon alt ist. Scham wandelt man am heilsamsten in Wut. Alkohol höhlt den Kohl.
Schachpsychologie ist mein Hobby, daher füge ich noch zwei allgemeingültige Erkenntnisse an: erstens, es gibt keine allgemeingültigen Erkenntnisse, und zweitens gilt dies auch für den Gegner. Schach erzieht zur Objektivität, psychologische Tricks werden überschätzt. Jeder Ratschlag muss dem Individuum angepasst sein, ein Egomane braucht die Dämpfung, die dem Schüchternen schadet.
Absteigen kann die erste Mannschaft wohl ohnehin nicht mehr. Runde 8 bei Garching 2 am 18. März 2012 verspricht den nächsten Neuronenkitzel.
(kb)